Videos & Hörproben

„Die Stadtvögel“- Kurzgeschichte

Die Geschichte eines wortkargen jungen Mannes, der sich auf die Suche nach Wörtern begibt und dabei eine erstaunliche Erfahrung macht  …

 

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„Würstchenträume“ – Kurzgeschichte

Eine Geschichte über die Macht der Phantasie und einen jungen Mann, der an seinem Bratwurststand eine ganz besondere Herausforderung zu bewältigen hat …

 

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Leseproben

Leseprobe: „Kurpfalzblues“

Unvermittelt wurde die Tür aufgerissen. Arthur stand da und japste nach Luft.
„Da bist du ja, Maria! Komm schnell! Sie faxen es gerade.“
„Wer faxt was?“
Aber Arthur hatte sich schon wieder umgedreht und eilte über den Flur zu seinem Büro. Als sie in den Raum kamen, spuckte das Faxgerät ein Blatt aus.„Ein Radiosender“, keuchte Arthur. „Sie haben eben angerufen. Es war bei ihnen in der Post. Das muss vom Täter sein. Sie haben versprochen, nichts zu bringen, bis wir grünes Licht geben.“ Arthur nahm das Blatt mit den gedruckten Zeilen, schnappte noch ein paar Mal nach Luft.

Dann las er vor, was dort stand:

Erster Akt

Einsamkeit quält,
zerstückelt das Herz,
wen immer erwählt,
grausam der Schmerz.

Ans Licht getrieben,
voller Seelenqual,
Schattenreich entstiegen,
im grünenden Tal.

Wo auf Berges Rücken,
Ruinen stolz liegen,
wo die Rebenhügel
im Strome sich spiegeln.

Gefunden die hold Feine,
die Schönste, sie ist sein,
so lieblich wie keine,
nun führt er sie heim.

Zur Braut sie genommen
zur Fähre geleitet,
der Winter wird kommen,
der Weg ist bereitet!

Kein Zauber war´s,
und nicht gelogen,
sein Reich war´s,
wo sie eingezogen.

„Darunter steht: Für meine schöne Tote am Neckar. Weiterleiten an die Polizei. Bis morgen 24.00 Uhr jede Stunde im Radio verlesen.“
Für einen Moment war Maria völlig perplex. Sie nahm das Fax und las es noch einmal.
„Ein Gedicht? Was soll das?“
„Die Überschrift, Maria! Die Überschrift!“ Arthur zeigte auf das Blatt. „Erster Akt. Das ist unser Täter! Es ist eine Ankündigung! Eine Warnung! Dass es einen zweiten Akt geben wird und vielleicht einen dritten und einen …“
„Ja, und dann ist ganz Heidelberg tot.“ Wenn sie eines jetzt nicht brauchen konnte, dann war es Panikmache. „Beruhige dich mal wieder.“
„Das kann genauso gut von einem Trittbrettfahrer sein“, sagte Alsberger. „Heute Morgen haben bestimmt etliche Passanten mitbekommen, dass am Neckar eine Leiche gefunden wurde.“
Arthur schüttelte den Kopf. „Nein, nein! Das passt doch alles zusammen. Die Geldspur am Tatort, damit die Leiche auch nur ja entdeckt wird, dieser Brief an den Sender. Dieser Mensch will in die Öffentlichkeit. Das ist garantiert von ihm. Das …“, er tippte noch einmal auf das Blatt, „das ist unser Mörder!“

Leseprobe: “Ab in die Hölle”

Die Atmosphäre des Büros erinnerte Maria ein wenig an einen Eisschrank, und das, obwohl hier die Heizung funktionierte. Glas, Chrom, schwarzes Leder. Klare Linien, wie man so schön sagte.

Der leblose Körper klemmte zwischen der Rückenlehne des Bürostuhls und
der Vorderkante des Schreibtischs. Der Kopf lag seitlich auf der Glasplatte, der Mund war leicht geöffnet, fast so, als wäre dieser Mensch selbst erstaunt über das, was ihm da geschehen war. Die dichten schwarzen Haare glänzten feucht vom Blut einer Schädelverletzung, die man erst sah, wenn man unmittelbar neben dem Toten stand. Seine Gesichtszüge waren etwas grob, aber ebenmäßig. Ein attraktiver Mann. Sofern man das über jemanden in diesem Zustand noch sagen konnte. »Da hat aber einer ganze Arbeit geleistet, was?«, sagte Maria mit Blick auf die Blutlache, die den Kopf des Toten umgab.

»Allerdings.« Jörg Maier, ein grauhaariger Mann in Marias Alter, war gerade dabei, seine Sachen zusammenzupacken. »Mindestens zwei Schläge auf den Schädel. Aber das ist nicht alles. Die Halsschlagader wurde durchtrennt. Deshalb schwimmt hier auch alles in Blut.«
Er hob den Kopf des Mannes ein wenig an, sodass sie den Hals sehen konnte. Ein langer, blutiger Schnitt zog sich quer über die Kehle.
»Die Leichenstarre setzt gerade erst ein. Ich schätze, das hier muss irgendwann zwischen siebzehn und neunzehn Uhr passiert sein. Vielleicht eher noch zwischen achtzehn und neunzehn Uhr.«
Jörg Maier seufzte.
»Karin und ich wollten gerade essen gehen. Wir haben heute Hochzeitstag.« So, wie er es sagte, hörte es sich nicht gerade nach einem Freudentag an. »Karin meint, sie hätte es satt, mit Leichen zu konkurrieren. So blass könne sie sich einfach nicht schminken.«
»Tut mir leid.« Maria kannte Karin. Das war bestimmt nicht alles, was sie gesagt hatte.
»Schon gut. Du hast ihn ja nicht umgebracht.« Nachdenklich schaute Jörg Maier auf den Toten. »Der Schlag ist wahrscheinlich mit einem stumpfen Gegenstand ausgeführt worden. Stumpf und schwer. Und der Schnitt … auf jeden Fall hat das Messer eine sehr scharfe Klinge. Die Wundränder sind ganz glatt.«
Alsberger war in der Tür erschienen.
»Erschlagen? Und die Kehle durchgeschnitten?«, fragte er.
»So sieht es aus. Hier, schauen Sie mal.«
Wieder hob Jörg Maier den Kopf des Toten an.
Alsberger zögerte, dann trat er einen Schritt an die Leiche heran und beugte sich vor, um die Schnittwunde am Hals sehen zu können.
Es geschahen doch noch Zeichen und Wunder! Ihr Assistent näherte sich einem Mordopfer auf weniger als einen Meter. Wer hätte das gedacht!
Als Alsberger sich wieder aufrichtete, hatte seine Gesichtsfarbe von grün zu kalkweiß gewechselt. Er murmelte etwas, das Maria nicht verstand, das sich aber sehr nach einer japanischen Automarke anhörte.
»Was für ein Mazda?«, fragte sie.
»Matzatello!« wiederholte Alsberger, mit einer Stimme, als stünde er selbst mit einem Fuß im Grab. »Der Matzatello! Das haben sie im Mittelalter so gemacht. Der Henker, in Italien. Der Verurteilte musste sich vor den Sarg stellen, dann hat der Henker erst mit dem Hammer zugeschlagen und ihm im Fallen noch die Kehle durchgeschnitten.«
Wie gebannt starrte er auf den Toten.
»Ich habe mal ein Referat darüber gehalten. Mazza, das heißt Hammer oder so was.«
Maria schaute sich suchend um.
»Und wo ist der Sarg?«
Jantzek kam ins Zimmer und ersparte ihrem Assistenten die Antwort. Der Leiter der Spurensicherung sah aus wie ein roter Luftballon kurz vor dem Platzen. So wie er immer aussah, wenn er wütend war und sein Blutdruck wahrscheinlich die Hundertachtzigermarke überschritten hatte.
»Diese Frau da! Sie hat geputzt«, zischte er leise. »Den Gang! Nass! Mit ihrem blöden Mikrofaserlappen. Das Wischwasser hat sie ins Klo gekippt. Und die Spülung gedrückt. Und die Türklinke hier im Büro wurde von innen abgewischt! Nimm sie fest, Maria.«
»Weil sie geputzt hat?«
»Weil sie schuldig ist!« Jantzek warf einen erbosten Blick in Richtung Flur. »Sieh sie dir doch an! Wie sie dasitzt! Das personifizierte schlechte Gewissen. Die hat gerade jemanden umgebracht. Garantiert! Erst hat sie ihm die Kehle durchgeschnitten und dann alle Spuren beseitigt. Mit ihrem Freund, Meister Proper!«
Maria konnte seinen Ärger gut verstehen. Spuren an einem Tatort zu vernichten, war für Jantzek wahrscheinlich so, als würde dem Jäger ein Wildschwein vor die Flinte laufen und mit Herzinfarkt umkippen, bevor er schießen konnte. Trotzdem entschied sie sich, wenigstens einmal mit der Frau zu reden, bevor sie sie festnahm.

Leseprobe: “Kurpfälzer Intrige”

Es roch eigenartig. Er kannte diesen Geruch, das wusste er ganz genau. Aber woher, das wusste er nicht mehr. Auf jeden Fall roch es hier nicht so, wie es riechen sollte. Nicht nach Wald.
    Kai Hansen lauschte in die Dunkelheit, auf das leise, gurgelnde Geräusch des kleinen Bachs, der sich seinen Weg durch die Steine den Hang hinab suchte.
    Er öffnete die Heckklappe des Wagens und zog eine der schweren Kisten hervor. Zum Glück war der Himmel sternenklar. Da vorne im Gestrüpp würde er sie abstellen. Das war ein guter Platz für sein Abschiedsgeschenk an die Heidelberger Stadtverwaltung. Den ganzen unnützen Kram, den er nicht mit zurücknehmen wollte, den konnten sie gerne haben.
    Der Schrei eines Vogels tönte durch die Nacht. Ein heller, durchdringender Schrei. Kai Hansen zuckte unweigerlich zusammen. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Dann hörte er das Rauschen in der Luft. Leise und bedrohlich. Von großen Schwingen getragen, schwebte das Tier fast lautlos über seinen Kopf hinweg.

    Die Geschichten über die Steinbrüche hier in der Gegend fielen ihm ein. Von den Menschen, die gekommen waren, um sich in den Tod zu stürzen. Wer weiß, was mit den armen Seelen dann passierte. Vielleicht hatten die was dagegen, dass er hier seinen Müll ablud.
    Was für ein Quatsch! Kai Hansen rief sich zur Ordnung. Das hatte dieser esoterische Mist aus ihm gemacht, mit dem Karina ihn voll gequatscht hatte. Geister, Wiedergeburt, Seelenwanderung. Alles Karinas Schwachsinn. Er hätte ihr niemals hinterherziehen sollen. Ein Nordlicht und eine Süddeutsche, das konnte einfach nicht gutgehen.
    Diese Heidelberger, das waren ja schon Halbitaliener. Saßen die meiste Zeit draußen im Café und schlürften Capuccino. Nix mit schaffen gehen. Dolce Vita. Aber dann mit dem Sperrmüll rumknausern. Anmelden sollte er seinen Müll. Ja, wo gab es denn so was? Wollten die vielleicht eine nette Postkarte von ihm? Liebe Stadt Heidelberg, darf ich höflichst ankündigen, dass mein Kühlschrank auf ihren ehrenwerten Besuch wartet, um verschrottet zu werden. Da lachen ja die Hühner.
    Es wurde Zeit, dass er wieder in seine Heimat kam. In den kühlen Norden. Da gab es einen Kalender, da standen die Termine drauf, dann stellte man alles an die Straße, und am nächsten Tag war das Zeug weg. Klare Sache. Und da oben, da roch alles genau so, wie es riechen sollte. Das Meer roch nach Meer. Der Mist roch nach Mist. Und das Gras nach Gras.
    Er hob die braune Pappkiste an. Sie war so groß, dass er nicht ganz darüber wegschauen konnte. Nur mit Mühe konnte er sie allein tragen. Er ging auf das Gestrüpp am Wegrand zu. Den Stein am Boden hatte er nicht gesehen. Kai Hansen fiel nach vorne, die Kiste entglitt seinen Händen, und er schlug der Länge nach unsanft auf dem Boden auf.
    Einen kurzen, benommenen Augenblick blieb er liegen. Als er den Kopf vorsichtig hob, blickte er auf einen Schuh. Einen Damenschuh. Der konnte nicht aus seiner Kiste gefallen sein.
    Kai Hansen rappelte sich auf. Sah das Bein, an dem der Schuh hing, den Körper und das wächsern bleiche Gesicht der Toten, die mit weit aufgerissenen Augen in den unendlichen Sternenhimmel starrte.

Leseprobe: “Elenas Schweigen”

Maria fragte sich bis heute, wie Alsberger es geschafft hatte, dass die Kollegen ihn trotz seines Vitamin-B-Einstiegs akzeptierten. Ihr selbst fiel das immer noch schwer. Und wenn sie an ihrem freien Tag, an dem sie sich alt und hässlich fühlte, einen Menschen ganz bestimmt nicht sehen wollte, dann ihn. Entsprechend begeistert blickte sie ihm entgegen.   
    »Herr Alsberger, darf ich Sie darauf hinweisen, dass ich mir drei Tage frei genommen habe, um einen winzigen Bruchteil meiner Überstunden abzufeiern? Und vor allem: um mich von meinen Kollegen zu erholen! Von diesen drei Tagen sind erst zwei um! Und falls Sie versucht haben sollten, mich telefonisch zu erreichen und ich nicht drangegangen bin, könnte das ja ein Hinweis darauf sein, dass man mich freundlicherweise an meinen freien Tagen in Ruhe lassen soll!«  

    Roland Alsberger nahm die letzten beiden Stufen zu ihrer Wohnung auf einmal. Wahrscheinlich sollte es eine Demonstration seiner jugendlichen Sportlichkeit sein.
    »Ich danke Ihnen für die überaus freundliche Begrüßung. Charmant wie immer.« Alsberger baute sich vor ihr auf. »Darf ich vielleicht reinkommen?«
    Obwohl er offensichtlich abgehetzt war, wirkte Alsbergers Äußeres wie immer perfekt. Die kurzen blonden Haare waren mit so viel Gel bearbeitet, dass nicht einmal ein Wirbelsturm sie hätte aus der Form bringen können. Der offene helle Mantel ließ den Blick auf den schwarzen Rollkragenpullover frei, in dessen Kragen mit Sicherheit das Schildchen einer Luxusmarke heftete. Maria mochte diese Art nicht, in der sich die jungen Männer herausputzten.
    Mit Alsbergers dezent teurer Kleidung konfrontiert, wurde sie sich bewusst, dass sie in ihrem ausgefransten hellgrünen Bademantel barfuß im Flur stand. Und obwohl sie Alsberger nicht besonders mochte, konnte sie sich denken, dass er sie nicht ohne Grund an ihrem freien Tag stören würde. Und schon gar nicht würde er zu ihr nach Hause kommen. Es musste also etwas wirklich Außergewöhnliches geschehen sein. Widerwillig trat sie zur Seite und ließ ihn in die Diele ihrer Wohnung.
    »Ferver schickt mich. Sie haben gestern oben in den Handschuhsheimer Gärten eine Leiche mit zertrümmertem Schädel gefunden.«
    »Na und?«
    »Sie sollen kommen und die Ermittlungen leiten.«
    »Wissen Sie, Herr Alsberger, das ist wirklich nett, dass Sie so viel Wert auf meine Anwesenheit legen. Aber der Schädel wird doch wohl nicht mehr weglaufen. Und warum übernimmt es nicht der Schlich? Wofür hat man denn einen Stellvertreter?« Maria schloss die Tür hinter ihm.
    Roland Alsberger schaute unsicher drein, etwas, was Maria bislang selten bei ihm erlebt hatte.
    »Was ist los?«
    Alsberger blickte auf die Wand hinter ihr, an der die Fotos ihrer Tochter Vera hingen, und hielt einen Moment inne, bevor er antwortete. »Es ist der Sohn von Johanna Sandt.«

Maria ließ Alsberger im Flur stehen und ging in die Küche. Wie schrecklich! Johannas Sohn! Sie ließ sich auf einen der Holzstühle fallen. „Mein Gott“, murmelte sie. Sie spürte, wie es in ihren Schläfen pochte. In den vielen Jahren bei der Kripo hatte sie oft Schreckliches gesehen und erlebt und manchmal gedacht, gegen das Leid und Elend anderer immun geworden zu sein. Aber das Elend musste nur näher an sie herankommen, um zu treffen.